Pater Gottfried (Pfarrer in Sankt Michael 1995 - 2009) beschreibt unsere Kirche

Am liebsten würde ich Sie wie die Kinder unserer Gemeinde, die auf die Erstkommunion vorbereitet werden, an der Hand nehmen und Sie durch die Kirche St. Michael in Sillenbuch, einem südöstlichen Vorort von Stuttgart, führen. Wer durch den Vorort fährt, sieht nicht immer einen Kirchturm, an dem er sich orientieren könnte. Nur gelegentlich blitzt ein kantiger Turm auf und macht aufmerksam auf das Gotteshaus. Wenn man an der Kirche in der Mendelssohnstraße im Schritttempo vorbeisteuert, weiß man noch lange nicht, was drinnen ist und welche Beziehung zwischen Auge und künstlerischer Ausgestaltung und zwischen Ohr und Kirchenmusik wachsen kann.

Der Grundstein ist 1952 gelegt worden, weil nach dem Krieg die Erfahrung gemacht worden war, dass die Zahl der Katholiken sich verdoppelt hatte und weil gleichzeitig damit gerechnet werden musste, dass die Zahl noch steigen würde. Der damalige Dekan hatte zu einer Volksmission mit einem Kapellenwagen eingeladen; die Veranstaltung stellte sich als Volltreffer heraus, so dass er die Augustiner bat, sich um die Seelsorge der zu errichtenden Pfarrei zu bewerben. So kamen wir Augustiner hierher, wirkten mit beim Aushub der Kirche und bei der Errichtung des Gebäudes; nach der Weihe 1953, schon ein Jahr nach der Grundsteinlegung, hatten die Mitglieder des Augustinerkonventes die Aufgabe, innerlich die Gemeinde aufzubauen und sie im regen Austausch mit den Menschen am Ort zu gestalten. Auch sie selbst, die bislang in Zimmern bei Gemeindegliedern untergebracht waren, brauchten ein gemeinsames Haus, das sie an die Kirche anbauten. Für die Sillenbucher und viele Stuttgarter war das kein romanisches Stift, keine monumentale Barockabtei, sondern liebevoll „das Klösterle“ genannt.

Die Kirchenwand an der Straßenseite weist schon auf den Namen der Kirche hin. Mit mächtig ausgebreiteten Engelsflügeln steht der Erzengel Michael da und hat die Schlange im unteren Bereich des Bildes mit seiner Lanze festgenagelt, so dass sie keine böse Macht mehr entfalten kann. Das Bild ist in den Verputz eingeritzt, so dass es je nach Wetterlage nicht für jeden leicht erkennbar ist. Die Kennzeichnung mit „W. G. 1953“ weist hin auf den Künstler, der viel in unserer Kirche geschaffen hat, und auf das Jahr der Fertigstellung. Wilhelm Geyer gehörte zu den verfemten Künstlern des Dritten Reiches, seine Bilder mussten aus den Stuttgarter und Ulmer Museen entfernt werden. Als er an einem kirchlichen Auftrag in München arbeitete, hatte er sein Atelier in einer Druckerei. Daraus stammten die Flugblätter, die in den Innenhof der Münchner Universität von der Weißen Rose abgeworfen wurden. Mit der Familie der Geschwister Scholl war er befreundet. Daraufhin wurde Wilhelm Geyer von der Gestapo gefangengenommen; eine dort nicht behandelte Augenerkrankung führte zum Verlust eines Auges des Künstlers.

In der Kirche St. Michael hat Geyer das große Glasfenster hinter dem Altar geschaffen, die beiden Schutzengelfenster am Ausgang der Kirche und im Seitenschiff Bilder mit Engeln nach Szenen aus dem Leben Jesu. Der Künstler, der damals 53 Jahre alt war, hat es verstanden, mit ganz verschiedenen Farbgebungen, strahlend und leuchtend oder zurückhaltend pastellfarbig, eine Stimmung in den verschiedenen Bereichen der Kirche aufzufangen von der festlichen Liturgie im Hauptschiff hin zur Meditation im Seitenschiff bis hin zum Türbereich, wo das Tageslicht uns umfängt. Im Ankleideraum der Ministranten befinden sich noch zwei weitere Glasfenster, die Bezug nehmen auf Kinder und ihren Dienst am Altar. Das ist einmal die Szene, in der Hanna ihr Kind Samuel zu Eli in den Tempel bringt und weiter das Kind, das zu seiner Verpflegung die fünf Brot und zwei Fische hat, die der Herr segnet und an alle austeilen lässt.

Der zweite große Künstler, der unserer Kirche seinen Stempel aufgedrückt hat, war Otto Herbert Hajek. Er schuf den Altar mit dem Symbol Fisch und Brot, den Ambo, in den ein Jesus, der seinen Jüngern predigt, eingehauen ist, und den Taufstein mit einem auferstandenen Christus, einem Täufling, der sein Taufkleid in den Händen trägt, und dem Erzengel Michael, der Luzifer mit einem Schwertstreich aus dem Himmel wirft. Selbst der Deckel des Taufsteins ist gestaltet; es sind Wellenlinien, die an manchen Stellen zu Fischen im Wasser werden. „Kann ein Fisch ohne Wasser leben?“, frage ich die Kinder, und sie antworten darauf mit „Nein“. Können wir ohne Christus Christen sein? Diese Frage soll unsere Zusammengehörigkeit mit Christus und auch untereinander verdeutlichen und auf die Wichtigkeit der Taufe und der Taufgnade hinweisen.

Auch der Tabernakel, der heute im Seitenschiff untergebracht ist, stammt von diesem Künstler. Er ist mehr breit als hoch und zeigt den Einzug des Herrn in Jerusalem.Als der Tabernakel zur Aufstellung vom Künstler gebracht wurde, musste er sofort wieder entfernt werden, weil er nicht die Zustimmung des Bischöflichen Ordinariates fand; es wurde argumentiert, er würde nicht den Bestimmungen entsprechen. Darauf packte der Künstler den Tabernakel in den Rucksack und fuhr auf einer Vespa damit nach Rom. Ein Pfarrer hatte ihm dazu den Rat gegeben, weil in Rom gerade eine Ausstellung im Vatikan über liturgische Kunst laufe. Die Einlieferungsfrist für Kunstgegenstände war schon vorbei, die Ausstellung am Beginn der Kolonnaden schon eröffnet, der Tabernakel wurde dennoch angenommen und am Ende sogar mit einem Preis ausgezeichnet. Daraufhin tat man sich doch schwer, diesen Kultgegenstand weiterhin für St. Michael abzulehnen.

Ursprünglich war auch geplant, Hajek den Auf trag zu geben, für St. Michael einen Kreuzweg zu gestalten. Darauf hin hatte er zur Vorlage für die entsprechenden Gremien zwei Stationen geschaffen; es kam nicht zur Auftragserteilung, weil der Kirchenstiftungsrat andere Vorstellungen hatte und einen mehr „verspielten“ und gemalten Kreuzweg gewünscht hatte. Im Protokoll freilich war auch der Hinweis vermerkt, warum das Projekt abgelehnt worden war: S.....flüchtling. Die Zeit damals war im religiösen Bereich nicht mehr so wie früher: vieles wurde schon hinterfragt, mit alten Lösungen gab man sich nicht mehr zufrieden und neue Antworten zeichneten sich noch nicht ab. Es war eine Zeit des Umbruchs, die langsam das Zweite Vatikanische Konzil notwendig machte und gleichzeitig auch vorbereitete.

Der dritte wichtige Künstler hat keinen Namen. Niemand weiß, werden romanischen Christus, der an der linken Kirchenwand hängt, geschaffen hat. Dazu ist es so gekommen: Zwei Freunde aus Sillenbuch, der damalige Stadtpfarrer und der Leiter des Württembergischen Landesmuseums im Alten Schloss waren gemeinsam zum Bergsteigen in Südtirol unterwegs. Bei einer der Wanderungen, entdecken sie eine kleine Kirche, die außen und auch innen je ein romanisches Kreuz hatte. Beide sprachen begeistert über diesen Kunstschatz und äußerten, dass sie diesen gerne in ihren Räumlichkeiten hätten. Der eine meinte seine Kirche und der andere sein Museum. Beide stellten beim Ortspfarrer den Antrag zum Kauf. Hier wäre unser Mitbruder P. Leonhard beinahe auf der Strecke geblieben, denn er konnte finanziell nicht so viel bieten wie der Direktor eines staatlichen Museums. Aber der Ortspfarrer argumentierte zugunsten des Verkaufs an eine Kirche. Im Museum werde alles angeschaut und geklärt, dass die Fußstellung des Gekreuzigten hinweise auf jene Zeit ... dass das Fehlen einer Dornenkrone den gleichen Hinweis gebe und der lange Rock anstelle des Lendentuches ebenso. Im Museum werde taxiert aufgrund der Beschädigungen durch Eis und Schnee, aber in der Kirche werde doch davor gebetet.

Ich habe es immer als wichtig angesehen, die künftigen Kommunionkinder auf diese Erwartung des Pfarrers von Südtirol hinzuweisen und das Versprechen des Sillenbucher Pfarrers immer wieder einzulösen und wirklich vor diesem Kreuz zu beten. Es ist für mich sehr eindrücklich, wenn am Karfreitag die Menschen an diesem Kreuz vorbei gehen, ihre Knie davor beugen und hineinschauen in das Gesicht des Gekreuzigten, wenn sie den Schaft des Kreuzes berühren und sich daran festhalten oder daran aufrichten. Den Menschen, mit deren finanzieller Unterstützung dieses Kreuz hat angeschafft werden können, bin ich sehr dankbar. Es zeichnet uns vor vielen anderen Stuttgarter Kirchen aus.

Wenn man das Büro neben der Kirche hat, fällt doch immer wieder auf, wie viele Menschen tagsüber einen Sprung in die Kirche machen und dort einige Minuten verweilen: das alte Ehepaar auf seinem Spaziergang, die Frauen mit der Einkaufstasche, Väter oder Mütter mit ihren Kindern, der junge Mann in der Motorradkluft oder der Bankangestellte nach seiner Bürozeit. Was suchen sie dort? Einen Moment der Ruhe, des Ausspannens, des Loslassens, der Sammlung, der Sehnsucht, des Hoffens? Es kann so viele verschiedene Gründe geben, aber jeder davon ist berechtigt und bietet Chancen, die in der Seelsorge aufgegriffen werden können und vor allem aufgegriffen werden sollen.

Für den Bereich der Seelsorge hat bei der Gründung des Augustinerkonventes der Stuttgarter Dekan Hermann Breucha angemahnt, die Brüder sollten die Fähigkeiten haben, auf die Menschen mit all ihren Problemen zuzugehen, sie sollten Zeit haben, die Sorgen der Menschen anzuhören, und langen Atem für den Austausch der Gedanken im Gespräch. Dazu sollte großer Wert gelegt werden auf eine ordentliche Liturgie, damit etwas überspringen könne vom „Heiligen“ in den Alltag hinein. Was am Sonntag gefeiert würde, sollte den Werktag heiligen. Wir machen die Erfahrung, dass neben die Eucharistiefeier neue Gottesdienstformen treten müssen, die stärker Impulse geben für die Gestaltung eines Tages hier und jetzt, die konzentrierter die Botschaft Gottes weitergeben, die Symbole des Glaubens stärker aufgreifen und zum Sprechen bringen. Mit mehr oder weniger großem Erfolg ist das von den Mitbrüdern, die in der Seelsorge tätig sind oder tätig waren, geleistet worden. Freilich: Erfolg ist kein Name Gottes, heißt es. Oft genug scheitert Gott und seine Botschaft kommt nicht an; selbst sein Sohn ist - äußerlich gesehen - gescheitert. Was in der Pastoral erreicht wird, kommt erst nach einem langen Prozess zum Tragen. Hier darf man hoffen, dass aus dem kleinen, ja aus dem kleinsten Samenkorn etwas Großes wachsen kann; vielleicht darf man gerade in der Seelsorge dem Gleichnis des Herrn vertrauen: Das Reich der Himmel gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; es ist zwar kleiner als alle Samen, wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als die Kräuter und wird ein Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten. (Mt 13,31f)

 

Gedanken zum großen Glasfenster

Und ich sah: Sieben Engel standen vor Gott;
ihnen wurden sieben Posaunen gegeben.
Und ein anderer Engel kam
und trat mit einer goldenen Räucherpfanne
an den Altar;
ihm wurde viel Weihrauch gegeben,
den er auf dem goldenen Altar
vor dem Thron verbrennen sollte,
um so die Gebete aller Heiligen
vor Gott zu bringen.
Aus der Hand des Engels stieg der Weihrauch
mit den Gebeten der Heiligen zu Gott.

(Offb 8, 2-4)


Die Aufgabe der sieben Engel
ist die Ankündigung des Gerichts.
Sie halten noch stille,
doch einer führt die Posaune
schon an den Mund,
um das Wehe auszurufen.
Gerettet wird und zu den Heiligen zählt,
wer dem Lamm vertraut
und sein Lob gesungen hat.
Dafür steht Michael.
Er verrichtet die Liturgie, das Lob Gottes,
den Dienst der Anbetung.
Mächtig hat der Erzengel
seine Flügel ausgebreitet.
Er lädt uns dazu ein, sich darunter zu bergen
(vgl. Ps 34,8).
Was oben im Glasfenster geschieht,
findet seine Entsprechung unten am Altar.
Unsere Messe soll Anbetung sein,
Dank- und Ehrerweisung dem,
dem Lob und Ehre gebührt.
Das ist das Lamm,
umgeben von den vier geflügelten Wesen,
die sein Heilswirken aufgeschrieben haben,
was geschehen ist für uns:
die Hingabe des Sohnes Gottes,
der das Lamm ist,
das alle Sünde der Welt hinweg nimmt.


Und ich sah: ein Thron stand im Himmel,
auf dem Thron saß einer,
der wie ein Jaspis und ein Karneol aussah.
Und über dem Thron
wölbte sich der Regenbogen,
der wie ein Smaragd aussah ...

(Offb 4,2bff)


Das Buch der Offenbarung
ist voll von Farben:
Jaspis und Karneol,
wie ein Regenbogen,
leuchtend weiß wie
Schnee, weiße Kleider,
goldene Kränze,
Leuchter und Schalen,
Golderz, das im
Schmelzofen glüht,
leuchtend wie
Feuerflammen,
gläsernes Meer
gleichwie Kristall,
rotgefleckt und
purpurrot vom Blut.
Vor dem dunkelgrünen
Hintergrund
leuchten diese Farben
im Glasfenster auf:
blau als Zeichen des Himmels und dessen,
was zum Himmel gehört;
rot als Zeichen des Blutes, des Lebens,
der Liebe,
und das Gold, das einzig Gott zusteht:
die Geräte für die Liturgie, der Kreuznimbus
um den Kopf des Lammes,
die Trompeten
und die Flügel der vier Lebewesen.
Die leuchtenden Farben changieren,
brechen sich,
setzen sich scharf voneinander ab
und binden sich doch
zu einer Einheit zusammen.
Lass mich einstimmen in dein Lob,
dankbar für dein Heil für mich.
Lass mich einstimmen in dein Lob
für alle Buntheit meines Lebens,
wie es geworden durch meine Schuld
und durch deine Gnade.
Darauf vertraue ich,
dass die Hingabe deiner Liebe
größer ist als all meine Schuld.
Lass mich einstimmen
in dein Lob,
weil du mit deinem Blut
mich rein machst,
mein Lebensgewand
weiß wäscht.
Lass mich einstimmen
in dein Lob,
weil ich einstimmen darf
in den Chor der Engel,
die dir zusingen: heilig,
heilig, heilig bist du.
Nimm du mich an,
wenn ich versuche
dein Lob zu singen,
mit schwacher
und brechender Stimme,
mit schrägem Ton
und falschem Klang.
Nimm mich an ...